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Mathe-Prof bei YouTube: Klicken, sehen, rechnen

Foto: dapd

Mathe-Prof als YouTube-Star Also sprach Zahl-Athustra

Für Bummelstudenten lud er seine Vorlesungen bei YouTube hoch, mittlerweile sind die Clips von Mathe-Professor Jörn Loviscach zu Hits geworden. Sechs Millionen Klicks hat er bereits eingesammelt. Doch der Hochschullehrer will mehr: den Unterricht revolutionieren.

Eigentlich hat Professor Jörn Loviscach seine Vorlesung nur für die 32 Studenten im Hörsaal der Fachhochschule Bielefeld vorbereitet. Sie sollen die Funktionsflächen einer Hügellandschaft berechnen. Fünf Stunden später sind drei Videos aus der Vorlesung aber bereits bei YouTube zu finden. Loviscach erreicht auf diesem Weg weit mehr als 32 Bielefelder Studenten: Rund sechs Millionen Mal klickten User seine fast 2000 Videos an . Wenn man so will, ist er Deutschlands beliebtester Mathe-Professor.

Schon bevor der Naturwissenschaftler mit den runden Brillengläsern und kurzen Bartstoppeln vor drei Jahren aus Bremen nach Bielefeld zog, hatte er unter den Studenten der hanseatischen Hochschule den Ruf, Mathematik auf eine andere Art und Weise zu vermitteln. Als der gebürtige Ostwestfale aber vor drei Jahren in Bielefeld anfing, seine Vorlesungen bei YouTube online zu stellen, hätte er niemals erwartet, dass sie einmal so beliebt werden könnten.

Zunächst produzierte Loviscach die Videos eigentlich nur, damit Nachzügler älteren Semesters sich unabhängig von Vorlesungszeiten auf die Prüfungen vorbereiten konnten. "YouTube war da die einfachste und billigste Lösung, die Videos zur Verfügung zu stellen", sagt der 47-Jährige. Aus der kostenlosen Verbreitung seines Unterrichtsmaterials wurde inzwischen nicht nur ein Hobby, sondern sogar "eine kleine Sucht", wie er sagt. Jede Vorlesung, die er an der Fachhochschule Bielefeld hielt, ist seither online. "Das ist wie mit Facebook. Man schreibt etwas, damit die Leute es anklicken", sagt Loviscach.

Außerdem habe er ein gutes Gefühl dabei, wenn er mit dem Material, das er so akribisch vorbereite, ein größeres Publikum als nur die Bielefelder Mathe- und Ingenieurwissenschaftsstudenten erreiche. Seine eigenen Studenten profitierten, weil er Übungsaufgaben bereits vor jeder Vorlesung bei YouTube einstellt. "So können wir die gemeinsame Zeit maximieren", sagt Loviscach.

"Und, hast du dir die Videos angeguckt?", fragt ein Student

Die Studenten können sofort mit den Aufgaben anfangen, wenn die Vorlesung beginnt. Als eine Vorlesung für die Studenten des zweiten Semesters im Studiengang "Regenerative Energien" beginnt, fragt der 21-jährige Philipp Dill seinen Nebenmann: "Und, hast du dir die Videos angeguckt?" Dill jedenfalls hat sich mit dem rund einstündigen Material vorbereitet und beginnt sofort mit dem Berechnen von Funktionsflächen einer Hügellandschaft.

Währenddessen geht Loviscach durch die Reihen und überprüft den Rechenweg. Er erklärt Dill dabei, dass er die Brüche zu kompliziert rechnet und zeigt einfachere Lösungswege auf. "Er erkennt schnell den Fehler und gibt gute Hilfestellungen", sagt Dill, nachdem Loviscach weitergegangen ist.

Der Professor sagt: "So wird bei mir selbst eine Vorlesung zum Seminar." Er ist überzeugt, dass seine Studenten nur über diesen Weg die Mathematik wirklich verstehen. Die eigentliche Vorlesung hätten sie sich dabei bereits vorab per Video angeschaut. Im Unterricht wenden sie das Erlernte direkt an. "So habe ich den Frontalunterricht abgeschafft", sagt Loviscach.

Es würden sich auch mehr Studenten für die Prüfung anmelden. Allerdings stehe diese in seinem Unterricht nicht im Vordergrund, weshalb die Durchfallquote bei ihm auch nicht besser sei. "Die Klausuren sind für mich ein Drama", sagt er. Sie seien Teil eines Systems, dem er den Kampf angesagt habe. Er nennt dieses System "Bulimielernen" und erklärt: "Wie Bulimiekranke sich ernähren, so lernt man. Nach der Klausur ist alles weg."

Mit seinen Online-Vorlesungen hat er bereits erreicht, dass zumindest das Netz seinen Unterrichtsstoff nicht mehr vergisst. Ihn fasziniert, dass Studenten in Deutschland und im deutschsprachigen Ausland seine Vorlesung angucken, obwohl sie seine persönliche Betreuung gar nicht erfahren. Er vermutet, dass gerade das veraltete System des Frontalunterrichts dafür verantwortlich ist. Viele Studenten an einer Universität seien nur Frontalunterricht gewohnt und könnten seine YouTube-Videos daher auch so gut verstehen.

Die Qualität der Videos, seine sonore Stimme und seine lockere Art trugen dazu bei, dass sich die Aufrufe seiner Videos von Jahr zu Jahr steigerten. Loviscach sagt: "Inzwischen verweisen sogar Professoren anderer Universitäten auf meine YouTube-Vorlesungen."

Jean-Charles Fays/dapd/otr